Tote Mädchen lügen nicht – Was unsere Experten zu der umstrittenen Netflix-Serie sagen
02.06.2017
Die Serie „Tote Mädchen lügen nicht“ ist die kontroverseste Produktion seit Jahren. Seitdem das Suizid-Drama im März auf Netflix gestartet ist, wird es heftig diskutiert und auch kritisiert. Prof. Dr. med. Mathias Berger, wissenschaftlicher Beirat und Dr. phil. Christian Klesse, leitender psychologischer Psychotherapeut an der Rhein-Jura Klinik – unsere Experten beziehen heute Stellung.
Klesse: Für Jugendliche ist die Gleichaltrigengruppe in aller Regel der wichtigste Ansprechpartner. Teils werden die Gleichaltrigen auch in Suizidphantasien mit eingebunden. Oft ist die Brisanz überhaupt nicht bewusst, wenn über Suizidgedanken oder -vorstellungen gesprochen wird. Eltern demgegenüber erfahren meist nichts von Suizidgedanken, die unter Jugendlichen relativ verbreitet und glücklicherweise vorübergehend sind, außer natürlich, sie sind in eine Depression eingebunden. Es ist gar nicht ungewöhnlich, wenn sich Unfälle beim Spielen im Nachhinein schon bei Kindern als Suizidversuche entpuppen; auch Risikoverhalten bei Jugendlichen kann zumindest ein In-Kauf-Nehmen des Todes darstellen. Jugendliche, die lebensmüde sind, benötigen genauso therapeutische Hilfe und möglicherweise auch den Schutz eines Klinikaufenthalts wie Erwachsene. Wenn Suizidgedanken drängend sind, immer wieder auftreten, auch konkreter werden, würde ich Jugendlichen dazu raten, das dringend anzusprechen – bei Lehrern, Erwachsenen, denen sie vertrauen, beim Hausarzt und bei den Eltern, wenn es die Beziehung hergibt. Suizidgefährdung ist bei Kindern und Jugendlichen nicht ohne weiteres erkennbar. Es gibt Kriterien wie Verschlechterungen in den Schulleistungen oder Schuleschwänzen, Antriebsmangel, äußerliche Vernachlässigung wie Mangelernährung, Fressanfälle oder auch wegfallende Körperhygiene; auch der soziale Rückzug und Wortkargheit gehören dazu. Manchmal sind es auch Bauchbeschwerden oder plötzliche Asthmaanfälle, die sichtbar werden. Dies können Symptome einer Depression oder auch anderer Störungen sein und sollten, wenn sie länger anhalten, auch einmal eine Vorstellung beim Kinder- oder Hausarzt nach sich ziehen. Sie berechtigen jedoch nicht schon an sich zur Befürchtung, es könnte Suizidalität vorliegen. Generell empfehlen wir Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in Krisen Kontakt zu professionellen Helfern aufzunehmen und die Situation zu schildern.