Artikel aus “Der Allgemeinarzt”: Wann wird Daddeln zum Problem?
24.05.2017
Artikel von Dr. Jähne aus: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (7) Seite 18-20:
E-Mails verschicken, in sozialen Netzwerken kommunizieren, sich zu Online-Spielen treffen. Das ist heute normal. Doch wann kippt das Ganze in Richtung Sucht? Über die Merkmale und Behandlungsmöglichkeiten der Internetsucht und der Spielsucht – zweier wichtiger Vertreter der sogenannten nicht stoffgebundenen Suchterkrankungen – soll im folgenden Beitrag informiert werden.
- Cunningham-Williams RM, Cottler LB, Womach SB (2004) Epidemology.In: Grant JW, Potenza MN (eds.) Pathological Gambling. A clinical guide to treatment. Washington DC: American Psychiatric Publishing:25-36.
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- Fauth-Bühler M, Potenza MN, Mann K (2016) Pathological gambling: a review of the neurobiological evidence relevant for its classification as an addictive disorder. Addiction Biology doi: 10.1111/adb.12378. [Epub ahead of print]
- Kiefer F, Fauth-Bühler M, Heinz A, Mann K (2013) Neurobiologische Grundlagen der Verhaltenssüchte. Nervenarzt; (5):548-556
- Király O, Griffiths MD, Urbán R, Farkas J, Kökönyei G, Elekes Z, Tamás D, Demetrovics Z (2014) Problematic internet use and problematic online gaming are not the same: findings from a large nationally representative adolescent sample. Cyberpsychol Behav Soc Netw. 17(12): 749-54
- Meyer G, Bachmann M (2011): Spielsucht: Ursachen, Therapie und Prävention von glücksspielbezogenem Suchtverhalten. Springer, 3. Auflage, Berlin
- Müller K (2013) Wer ist gefährdet? Risikofaktoren für Internetsucht. In Spielwiese Internet. Springer Berlin Heidelberg
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- Rehbein F, Kleimann M, Mössle T (2010) Prevalence and risk factors of video game dependency in adolescence: results of a German nationwide survey. Cyberpsychol Behav Soc Netw, 13(3):269-277
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- Winkler A, Dörsing B, Rief W, Shen Y, Glombiewski JA (2013). Treatment of Internet Addiction: A meta-analysis. Clinical Psychology Review 33: 317-329.
Das pathologische Glücksspiel gilt, laut ICD-10, als Impulskontrollstörung. Betroffene berichten von einem sich aufdrängenden, unwiderstehlichen Verlangen, das nur durch die Handlung gestillt werden kann. Beim Spielen geht es nicht ums Gewinnen, sondern darum, das innere Verlangen zu reduzieren. Ähnlich wie bei substanzgebundenen Suchterkrankungen beschreiben die Patienten die Entwicklung einer Toleranz, bei Abstinenz aber auch Entzugssymptome. Das neue amerikanische Klassifikationssystem für psychische Erkrankungen DSM V ordnet die Spielsucht deshalb auch den Suchterkrankungen zu (vgl. Übersicht 1) [2]. Weltweit sind etwa 1 % der Menschen spielsüchtig, bei Heranwachsenden und Jugendlichen liegt der Anteil deutlich höher [1, 9, 10].
Die Online- oder Internet-Abhängigkeit ist definiert als Unfähigkeit von Individuen, ihre Internetnutzung zu kontrollieren, wenn sie zu bedeutsamem Leiden und/oder einer beeinträchtigten Funktionalität im Alltag führt [8].Inwieweit diese diagnostische Kategorie nicht eine Pathologisierung von Alltagsverhalten zur Folge hat, wird kontrovers diskutiert. Manche Autoren unterteilen die Internetsucht in eine problematische Internetnutzung und in ein problematisches Online-Gaming [5].
Auf die Ursache des pathologischen Spielens deutet eine biologische Prädisposition hin. Bekannt ist die Komorbidität mit substanzgebundenen Suchtkrankheiten, die mit neurobiologischen Veränderungen u. a. im mesolimbischen Belohnungssystem und orbitofrontalen Cortex einhergehen. Ähnliche Hinweise ergeben sich aus funktionellen Bildgebungsuntersuchungen bei pathologischen Spielern. Bei der Reaktion auf Schlüsselreize (Cue Reactivity) [3, 4] zeigen sie weiterhin einen erhöhten Anreizwert von Stimuli und eine andere Verarbeitung von Verlusten [12]. Damit könnte durch das Spielen der Wiederholungsanreiz bei prädestinierten Menschen schwerer kalkulierbar sein.
Bei der Komorbidität liegen vor allem die affektiven Störungen vorn. Bis zu 80 % der Betroffenen haben depressive Erkrankungen. Darüber hinaus sind Angsterkrankungen, vor allem die soziale Phobie, zu nennen. Das Aufmerksamkeitsdefizit-und Hyperaktivitätssyndrom findet sich sehr häufig unter Patienten mit Internetsucht. Unabhängig davon sind die Persönlichkeitsfaktoren “Novelty Seeking”, “Sensation Seeking”, erhöhte allgemeine Erregbarkeit und verminderte Impulskontrolle überdurchschnittlich oft bei pathologischen Spielern zu finden. Online-Spieler sind häufig auch außerhalb des Internets in einem pathologischen Verhaltensmuster aktiv. In dieser Personengruppe findet sich missbräuchlicher und abhängiger Substanzkonsum wie Alkohol, Benzodiazepine oder Amphetamine weitaus öfter [11, 13].